Schauspieler Otto Kullberg lernt man rückwärts kennen. Das Gesicht hat er sich im Spiegel zugewendet, der Maskenbildner richtet ihn zurecht. In Dresens doppelbödigem Eröffnungsbild spricht Kullberg zu sich, über sich, aber so richtig mit niemandem. Es ist ein nachdenkliches Palavern. Otto Kullberg besitzt Format in Physis, Ego und Charakter. Doch das Charakterformat versteckt Dresen gut. Herben Charme hat Kullberg, für den man ihn nach einem großen Schluck “Whiskey mit Wodka” natürlich doch mag. Den Sympathieumschwung verdankt der ob seiner Kantigkeit überall aneckende Henry Hübchen. Hübchen ist zweimal Hauptdarsteller, zum einen in Regisseur Andreas Dresens “Whiskey mit Wodka”, zum anderen in Regisseur Martin Tellecks (Sylvester Groth) “Tango zu dritt”, einem Film im Film. Den Dreh dieses in den zwanziger Jahren angesiedelten Dramas durchleben die Zuschauer mit den Darstellern in “Whiskey mit Wodka”.
Kullberg spielt die dreifache Hauptrolle, vor Dresens Kamera, der Film-im-Film-Kamera und in der außerfilmischen Handlung. Denn Kollberg ist ein Exzentriker, der bisweilen zu tief in die Flasche blickt und dann nicht mal mehr “Arschloch” (Sagte man das in den Zwanzigern überhaupt schon so ungeniert?) sagen kann oder will, wenn es Regisseur Telleck verlangt. Daher engagieren die Produzenten den jüngeren Theaterdarsteller Arno Runge (Markus Hering), der an der Berliner Volksbühne in Stücken, wie Castorf sie inszeniert, auftritt. Alle Szenen dreht Telleck doppelt, einmal mit Kullberg, einmal mit Runge. Angeblich, um einen Ersatz zu haben, tatsächlich, um Kullbergs Egomanie in die Schranken zu weisen. Der Dialog um das auszusprechende Schimpfwort ist einer der humorvollsten in “Whiskey mit Wodka”. Schließlich muss die mit Teetrinker Telleck verheiratete Hauptdarstellerin Bettina Moll alleine weitermachen. Trocken wird die Moll, die mit Kullberg etwas hatte, was noch nicht abgeklungen ist, von Corinna Harfouch gespielt. Wie sie in die Kamera blickt bei Tellecks Großaufnahme “mit mehr Gefühl” und “noch intensiver”, sagt mehr als lange Reden.
Als guter Dialogregisseur versteht es Kohlhaas, Schweigen so effektiv einzusetzen wie Worte. Bettina und Kullberg erinnern sich gemeinsam, schauen sich nach anderen Partnern um und entdecken, dass sie miteinander keine schlechte Wahl getroffen hatten. Vielleicht trifft man sich beim nächsten Film wieder. Die Handlung von “Whiskey mit Wodka” kann nicht mithalten. Das beziehungstechnische Hin und Her, welches sich stärker auf emotionaler denn physischer Ebene abspielt, ist recht belanglos. Doch schwerwiegende Dramatik ist nicht das Ziel von “Whiskey mit Wodka”, sondern eine Stimmung nachdenklicher Melancholie. Staubtrockener Humor lockert dieses Gefühl der Vergänglichkeit, des Schwindens der Jugend und der Versäumnisse im Leben auf. Trotz der zahlreichen Lacher ist “Whiskey mit Wodka” im Herzen eine Tragikkomödie. Hätten Regisseur und Autor der durchscheinenden Tragik nur mehr Beachtung geschenkt. Ein Teller kann den ganzen Film ändern, da spricht Filmregisseur Telleck wahr.
Dennoch machen die geschliffenen Wortgefechte “Whiskey mit Wodka” zu der umwerfenden Mischung, vor der Kullberg seinen Kollegen und Konkurrenten Runge warnt. Gespickt mit pointierten Gesten ist “Whiskey mit Wodka” eine Komödie über das Kino- und Filmemachen. Kohlhaas und Dresen erinnern mit “Whiskey mit Wodka” daran, dass Kino nicht nur Aktion, sondern Wort und Geist ist. Bei ihrer zweiten Zusammenarbeit nach “Sommer vorm Balkon“ harmonieren sie noch besser. Was nichts darüber verrät, wie es hinter den Kulissen zuging, soviel lehrt die lakonische Tragikkomödie. “Gar kein so übler Schluss”, gibt sogar der launige Kullberg zu. Und erst recht kein übler Film. Der Genuss von “Whiskey mit Wodka” macht höchstens den Filmfiguren Kopfschmerzen. Und wann läuft eigentlich “Tango zu dritt”?
Titel: Whiskey mit Wodka
Start: 3. September 2009
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Wolfgang Kohlhaas
Darsteller: Henry Hübchen, Sylvester Groth, Corinna Harfouch, Markus Hering
Verleih: Senator